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Keine Bremse, nirgends


Kann die Mietpreisbremse eigentlich halten, was sie verspricht? Ich habe es im Stühlinger mit meinem Vermieter ausprobiert. 


von Valerie Tabea Schult


Es ist Sonntagmorgen, das Licht fällt durch die Fenster und malt Strahlen auf die Tischplatte vor mir, draußen zwitschern Vögel und ein Hubschrauber knattert. Ich starre versunken auf mein Handy und verfasse eine Whatsapp Nachricht. “Hallo Paul, als wir das letzte Mal miteinander sprachen hab ich dich gefragt, ob dir eigentlich bewusst ist, dass du einen 37 % höheren Mietpreis über den Mietspiegel verlangst. Daraufhin hast du mich bedroht. Du hast gesagt, du würdest mir sofort wegen Eigenbedarf kündigen, wenn ich das Wort “Mietpreisbremse” noch einmal anspreche. Dann bist du ohne ein Wort aus der Wohnung gegangen und hast die Tür zugeschlagen. Das hat Eindruck hinterlassen und ich saß danach ziemlich traurig am Küchentisch.” Diese Nachricht schreibe ich an den Mittdreißiger Paul W., leitender Angestellter eines großen Unternehmens für Maschinenbau im Schwarzwald. Ich dachte an die Kraft der gewaltfreien Kommunikation, als ich diese SMS schrieb, wollte bewusst über meine Gefühle reden, Eskalation vermeiden. Ich erinnerte mich dabei an diesen Moment, an dem mein Vermieter mir gegenüberstand. Mir plötzlich nicht mehr in die Augen, sondern nur noch auf seine weißen Turnschuhe schauen konnte. 


Wenn Worten Taten folgen


Er reagiert mit militärischem Führungsstil und tut genau das, was er mir angedroht hat. Da ich in der SMS zum zweiten Mal das Wort “Mietspiegel” erwähnte, und ihn somit darauf hingewiesen hatte, dass 690 € warm für 22 Quadratmeter zu hoch seien, schickt er mir seine Eigenbedarfskündigung. Sie landet eine Woche später als Antwort in meinem Briefkasten in der Lehener Straße. Dass seine Frau hochschwanger war und sie gerade ein Haus gekauft hatten, erwähnte er nicht in dem Kündigungsschreiben. Er hatte es mir erzählt, als ich die Wohnung, das erste Mal besichtigte. Paul W., hat laut dem Arbeitnehmerportal kununu einen Job mit einem Durchschnittsgehalt von 7000 Euro brutto. Erst seit zwei Monaten lebe ich in dieser Wohnung, die ich über Kleinanzeigen gefunden hatte. Von meinem Balkon aus kann man über das weite grüne Meer von Baumwipfeln sehen. Paul W. schloss mit mir einen unbefristeten Mietvertrag ab.


Ich staune noch heute über seine Nonchalance, über seine unerschrockene Gewissheit, über seinen plötzlichen Einfall, er brauche Eigenbedarf, in dem Moment, in dem ein Mieter das Reizwort “Mietspiegel” fallen lässt. Ist der Begriff nur ein Knall aus der Schreckschusspistole oder leistet er zuverlässige Dienste bei der Durchsetzung für bezahlbare Mieten in Freiburg im Breisgau? Das versuche ich jetzt herauszufinden, auch um meine zunehmende Verzweiflung wegen der Aussicht, obdachlos zu werden, zu minimieren.


Ist das Referat bezahlbares Wohnen durchsetzungsfähig?


Anruf bei der Stadt Freiburg. Ich bin mit dem Referat “Bezahlbares Wohnen” verbunden. Das Referat soll Mieter beraten, deren Vermieter überzeugt sind, der Mietspiegel sei nur die empfohlene Portionsgröße auf einer Chipstüte. Vor einigen Jahren hat die Bundespolitik die Mietpreisbremse noch einmal verschärft. Im Quartier Stühlinger darf die Miete maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Für geprellte Mieter hat sich die Politik ein besonderes Schmankerl einfallen lassen: Zu viel gezahlte Miete kann bis zu 30 Monate rückwirkend zurückgefordert werden. Doch Anspruch darauf entpuppt sich als steiniger Weg.


Ich schildere meine Situation am Telefon, der Referent, ein freundlicher älterer Mann, prüft meinen Mietvertrag. Ich bin erstaunt, wie unkompliziert und schnell das Gespräch mit dieser Behörde verläuft. Er stellt fest, dass ein Verstoß gegen das Mietspiegelgesetz vorliegt, er fragt mich, ob er Paul W. einen Bußgeldbescheid schicken darf. Ich freue mich. Doch eine Woche später kommt die Absage, Ja, es stimme, 690 € warm für 22 Quadratmeter sei eine rechtswidrige Mietüberhöhung. “Allerdings fehlt es hierzu voraussichtlich an dem individuellen Tatbestand des „Ausnutzens“. Hier sind die Hürden leider sehr hoch. Sie müssten sich hierzu nahezu in einer Notlage bei Vertragsabschluss befunden haben”, teilt mir das Referat Bezahlbares Wohnen mit. Deswegen kriegt mein Vermieter dann doch keinen Bußgeldbescheid. Jetzt bin ich verwirrt und neugierig. Ich schicke eine offizielle Anfrage. 


Die Stadt verschickt keine Bußgeldbescheide


Wie oft wurden denn Vermieter in den letzten drei Jahren von der Stadt angezeigt?

“Es gibt seit 2022 keinen Bußgeldbescheid wegen Mietwucher oder Mieterhöhung an einen Vermieter in der Stadt Freiburg”, bestätigt Constantin Denk, Abteilungsleiter im Amt für Wohnraumentwicklung für die Stadt Freiburg. Nur in einem einzigen Fall gab es von der Stadt eine Strafanzeige, die wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft abgewiesen. Die Verwaltung bereite derzeit dazu eine Vorlage für die Debatte im Gemeinderat vor, um diesen Missstand zu beheben. Doch noch ist davon nichts zu sehen. Ohne Bußgeldbescheide keine Gesetzesanwendung. Die Mietpreisbremse funktioniert so beeindruckend wie der SC Freiburg gegen den SC Stuttgart: Voller Euphorie, keine Tore. 


Ich telefoniere mit meiner Vormieterin, eine Münchener Studentin, informiere sie auch darüber, dass sie auch dreißig Monate später noch das überzahlte Geld der Miete an Paul W. wieder zurückfordern kann. Doch sie möchte Konflikte vermeiden und deswegen lieber mehr bezahlen, antwortet sie mir. 


Gang zum Gericht


Nach seiner SMS findet Paul W. ein weiteres Mittel: die Räumungsklage. Er ist mittlerweile Winter geworden, das Eis friert auf den Fenstern in Kristallen. Sein Kind ist auf die Welt gekommen, in seinem WhatsApp-Status finden sich Bilder, wie sein großes Haus im Schwarzwald mit Handwerkern zu Ende baut, er posiert mit seiner Familie und seinem Baby in Selfies. Beim Amtsgericht Freiburg hat er eine Räumungsklage gegen mich eingeworfen. Ich nehme mir eine Anwältin, Schritt für Schritt gehen wir alle Möglichkeiten durch. Nachts wache ich jetzt manchmal auf und bin in Panik. Der Fall ist eigentlich eindeutig, doch jetzt beginne ich auch an mir selbst zu zweifeln. Vielleicht benötigt er tatsächlich diese Wohnung und ich kann ein Gerichtsverfahren gar nicht gewinnen? Per Zufall finde ich endlich ein neues Zuhause, weit weg vom Stühlinger, in den Freiburger Osten, ein halbes Jahr nach der Kündigung. Ich ziehe Hals über Kopf aus, kurz vor Weihnachten, durch das Schneerieseln tragen ich und meine Umzugshelfer die Yuccapalme und mein Bett zum Lastenauto. Die Räumungsklage wird deswegen fallen gelassen. Die Kaution behält Paul W. ohne Erklärung ein. Erst mit massivem Druck des Mietervereins überweist er nach einem Jahr eine Teilsumme davon auf mein Konto.


Kein Feuer der Gerechtigkeit 


Als die Krokusse wieder ihre Köpfe aus dem Boden stecken, die Dreisam wieder wärmeres Wasser mit sich trägt und Kinder wieder draußen spielen, radle ich wieder einmal durch den Stühlinger. Mein ehemaliger Briefkasten trägt nicht mehr den Namen meines Vermieters. Ein fremder Name steht drauf. Ein Nachbar hatte mich aufgeregt angerufen und im Flüsterton erzählt, dass zwei neue Personen eingezogen seien, die nicht aussehen wie mein Vermieter. Ein halbes Jahr, nachdem ich ausgezogen bin, hat er die Wohnung wieder neu vermietet. Der “Eigenbedarf” war vollständig fingiert.  Ich werde bei der Polizei in der Klarastraße vorstellig, rede mit dem Beamten unter Neonlicht hinter der Glasscheibe.  Frage, ob ich meinen Vermieter wegen Betrugs anzeigen kann. Antwort: Das ist kein Fall für uns, sondern das Zivilrecht, bitte sich einen Anwalt nehmen. Doch dafür bin ich jetzt zu erschöpft.


Ich klingele an meiner alten Wohnung, der Vermieter hat nun diese Schuhschachtel wohl an ein studentisches Pärchen vergeben. Ich stelle mich als ihre Vormieterin vor und frage, ob sie Informationen zu dem Mietverhältnis haben wolle, sodass sie juristisch handlungsfähig ist. Die Mieterin schweigt. Und atmet aus. “Nein, lieber nicht”, antwortet sie. Ich höre ihre Angst in der Stimme. 


Für mich hat sich die Mietpreisbremse als hohle Streichholzschachtel herausgestellt. So leer formuliert, dass sich kein Verwaltungsmitarbeiter sich traut, sie anzuwenden. Und ein netter Vorschlag von der Politik, für dessen Anwendung junge Frauen anscheinend einfach nicht die notwendige Kraft haben. 

Ist mein Fall ein Einzelfall? Nein, fast ein Drittel aller Mieter:innen in Deutschland sind unzufrieden mit ihrem Vermieter. 


Was ich als Oberbürgermeisterin ändern würde: Einrichtung eines kommunalen Konfliktlösungsraums und schnelle Reaktion der Verwaltung



1) Warum gibt es keine dritten Räume, in denen Mieter:innen und Vermieter sich treffen und Kompromisse schließen umd sich gegenseitig in die Augen sehen müssen? Schlichtungsstellen sind damit der wichtigste Weg zur Lösung von Mietstreitigkeiten in Deutschland. Die Erfolgsquote der außergerichtlichen Schlichtungen von Mietervereinen liegt konstant bei etwa 97 %.  Dennoch machen die restlichen 3 % einen großen Teil der zivilrechtlichen Streitigkeiten vor Gericht aus -  mehr als 180.000 Fälle pro Jahr in Deutschland. 


Es muss einen großen kommunalen Konfliktlösungsraum für alle Einwohner:innen in Freiburg geben muss. Eine gemeinsame Anlaufstelle, ein Haus, in dem alle Parteien sich wenden müssen, bevor sie einen Anwalt bemühen und sich gegenseitig in Empathie versuchen, um die volkswirtschaftlichen Kosten einzusparen, wenn es zum gerichtlichen Streit kommt: Mieterverein, Eigentümerverein, Anwälte, Richter, die aus Steuergeldern bezahlt werden.


In kommunalen Konfliktlösungsraum erhalten Menschen Methoden an die Hand, wie sie strukturiert Feedback geben, Mitgefühl für sich selbst und andere ausdrücken und Kompromisse erarbeiten, als nachhaltige Grundlage für die Lösung weiterer Konflikte in ihrem Leben und Investition in mentale Gesundheit. Viele Mieter:innen trauen sich nicht, ihre Rechte einzufordern, deswegen sollten wir uns fragen, ob das an unserem Rechtssystem liegt, dass auf “Recht” und “Unrecht” ausgelegt ist, und das Verständnis von “wir kämpfen gegeneinander” befördert - etwas worauf weniger Frauen Lust haben könnten, als Männer. Kommunale Konfliktlösungsräume können hier den Rahmen zur friedlichen Beilegung vorgeben.


Bürgerbeteiligung: Zur Debatte eines kommunalen Konfliktlösungsraums geht es hier


2)  Vermieter müssen über ihren Verstoß gegen die Mietpreisbremse überhaupt informiert werden


Ich habe vorallendingen Mitgefühl von der Stadtverwaltung Freiburg vermisst. Die Stadt Freiburg sollte es so wie die Stadt Frankfurt machen. Wenn sie eine Mietüberhöhung feststellen, können sie einfach den Vermieter anrufen und ihn freundlich hinweisen, dass dies unzulässig ist. Die Stadt Frankfurt berichtet, dass es vielen Vermietern gar nicht bewusst sei, dass sie eine Ordnungswidrigkeit begehen.  Ein Anruf kann die Lebensqualität der Mieterin retten.


3) Datenerhebung und Verhängung drastischer Bußgelder


Leider hat die Stadt Freiburg keine Daten dazu vorliegen, wie viele Mietverhältnisse eigentlich gegen die Mietpreisbremse verstoßen, deswegen muss hier überhaupt erst einmal eine empirische Datenerhebung erfolgen, um feststellen zu können, welche Gesetzesmaßnahmen Erfolg haben und welche nicht.   Eine andere Form wäre, die Bußgelder in so drastischer Höhe - mindestens vierstellig -  öffentlichkeitswirksam festzulegen, dass alleine der Abschreckungseffekt Vermieter davon abhält, eine höhere Miete zu verlangen. 

 
 
 

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