Burschenschaften für alle
- Valerie Tabea Schult
- 7. Mai
- 3 Min. Lesezeit

von Valerie Tabea Schult
An einem schönen Sommertag im August 2022 stieg ich aus dem Zug auf den heißen Asphalt von Freiburg. Es war mein erster Berührungspunkt mit meiner Heimatstadt, die ich als Kind verlassen hatte. Ich war selbstständig, Anfang 30 und wollte nach Jahren des Reisens als digitale Nomadin wieder Boden unter den Füßen spüren. Zuvor hatte ich mich in meine Kuscheldecke gewickelt, mehrere Wochen nachts auf meinem Laptop gestarrt, die orange Oberfläche der kostenlosen Plattform “WG-Gesucht” immer wieder aktualisiert. Ich seufzte tief und schob die Panikgedanken beiseite, dass ich es nicht schaffen könnte, nach Freiburg zu ziehen und schrieb Nachricht nach Nachricht.
Ich präsentierte mich den WGs als die unternehmenslustige und perfekte “Mitbewohni”. Wie mein Ordnungsbedürfnis sei? Putzen war schon immer leidenschaftliches Hobby, auch abends würde ich noch mit Klobürste durch die WG pirschen. :P :P :P Jeden Satz im Anschreiben garnierte ich zielgruppengerecht mit 3 Emojis. Ob ich sportlich sei? Na klar, mit mir kann man immer eine Runde joggen gehen, gerne auch morgens um sieben Uhr. Ich versicherte, dass ich natürlich auch jeden Abend für alle in WG aus der regionalen Gemüsekiste kochen würde, natürlich vegan. Das mag jetzt übertrieben klingen, aber das war es nicht. Wie viele in dieser Stadt war ich bereit alles zu tun, um in die “In-Group Freiburg” aufgenommen zu werden, um dazuzugehören, um endlich anzukommen in meinem Leben.
Das Bewerbungsverfahren “WG-Gesucht” empfand ich als intransparenter als in der freien Wirtschaft, wo wenigstens in der Stellenbeschreibung konkrete Kompetenzen angefordert sind. Du starrst auf einen Grundriss, wo mit roter Linie dein Zimmer mit Parkett eingezeichnet ist und liest, dass die drei Kumpels “Alex”, “Peter”, und “Isi” hier wohnen. Mehr nicht. Lets face it: Weder WGs noch Unternehmen sind in der Lage adäquat ihre Identität als Gruppe verständlich zu beschreiben oder können ihre Umgangskultur so definieren, dass man als Außenstehende abschätzen kann, ob man dazu passt oder nicht. Also muss man sich das Zwischenziel setzen “möglichst viele Berührungen von Klingelknöpfen” zu erreichen. Du musst dir eine Besichtigung zu organisieren, um herauszufinden, ob du mit diesen Menschen in der Wohnung tatsächlich nach dem Unialltag noch zu Abend essen möchtest oder nicht. Ich schickte ungefähr 40 personalisierte Bewerbungen in einer Woche, erhielt zehn Antworten und drei Einladungen zu Besichtigungen.
Das Patriarchat sucht neue Mitglieder
Was ich als ungerecht empfand, war, dass bei WG-gesucht.de die günstigsten Zimmer ausschließlich Männern vorbehalten war. Damals wie heute versuchen Verbindungen über den Wohnungsmarkt junge Studenten in ihre Schicksalsgemeinschaft zu locken. Im Jahr 2022 wie im Jahr 2025 sind die Wohnungsangebote, die ganz oben in der Angebotszeile stehen, von Burschenschaften, die mit ihren “vollen Getränkekellern” und 250 Euro Warmmiete prahlen. Dumm nur, wenn ich keinen Penis besitze, dann werde ich sofort aussortiert.
Burschenschaften oder nicht-schlagende Verbindungen besitzen Häuser, gekauft von dem Kapital ihrer Alumnen, den “Alten Herren” in Freiburg. In dem Moment wo sie aus ihrem Studium ausscheiden, wird man sofort “alter Herr”, spendet an das Verbindungshaus im Schwarzwald und finanziert den weiteren männlichen Nachwuchs.

Screenshot am 02. Mai 2025 von “WG-gesucht.de” .
Gleichzeitig führen uns die Verbindungen vor, wie ein faires Mietmodell funktionieren kann: Sie können tatsächlich im Jahr 2025 eine Warmmiete von 250 € garantieren. Das Verbindungshaus ist im Besitz des Vereins und wird - ohne monetären Gewinn erwirtschaften zu wollen - einfach von Generation zu Generation weitergegeben.
Mein Verstand hakt hier ein: Diese Verbindungshäuser haben etwas geschafft, was diese ganze Stadt mietpolitisch nicht hinbekommt: Günstige Mieten. Langfristig. Können wir die Verantwortung der älteren für die jüngere Generation fördern, ohne dass nach Geschlecht aussortiert wird? Ein Verein mit Mitgliedern mehrerer Generationen, der solidarisch dem Nachwuchs mit niedrigen Mieten hilft, das Studium oder die Ausbildung zu übernehmen. Diese Art von Verbindungshäusern wären doch ein Gewinn für jede Stadt, oder?
Du bist ein älterer Mensch? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, in die junge Generation zu investieren? Eine Wertegemeinschaft mit jungen Menschen hält dich fit bis ins hohe Alter, denke ich mir. Tu' dich doch mit anderen älteren Menschen zusammen, gründet eine werteorientierte Verbindung, die beispielsweise auf den Prinzipien “Ökologie” oder “Nächstenliebe” oder “Ehrlichkeit” basiert und kauft ein Haus für Jüngere. Auf diese Art und Weise habt ihr einen Bund fürs Leben, der euch inspiriert und mit sozialen Kontakten versorgt und versorgt den Nachwuchs mit nachhaltigem Wohnraum.
Wenn ich Oberbürgermeisterin wäre, würde ich prüfen:
Staatliche Anreize zu schaffen, für junge Frauen und geschlechtlich durchmischte Gemeinschaften, einen solidarischen Verein mit entsprechendem Gebäude aufzubauen, der das Prinzip stärkt “einkommensstarke Menschen zahlen für jüngere Menschen in Ausbildung”.
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