Führerscheine für Vermieter:innen
- Valerie Tabea Schult
- 7. Mai
- 7 Min. Lesezeit

Pro Jahr ziehen in Freiburg etwa 7-8 Prozent der Bevölkerung um, das ist relativ häufig. Könnte das daran liegen, dass in Ballungsräumen Vermieter bei Konflikten ihre Mieter schneller loswerden können als anderswo?
Mein Weg zu einem unbefristeten Mietvertrag in Freiburg im Breisgau war kurz und steinig, er dauerte nur anderthalb Jahre. Meine erste WG in Freiburg bewohnte ich mit vier weiteren Mädels in St. Georgen. Wir besaßen eine großen Dachterasse mit Tomatenpflanzen und Oregano. Abends musste immer eine von uns den großen Gartenschlauch anstellen und aus der Regentonne das eigene Gemüse wässern. Die Wohnung war gemütlich und ordentlich. Jede von uns reinigte einmal wöchentlich die gesamte Bude und im Haushalt funktionierte es nahtlos. Es gab keine Konflikte über den Putzplan, der heilige Gral, der entscheidet, ob WG-Gemeinschaften scheitern und erfolgreich sind. Doch ich konnte nicht bleiben, das Zimmer war eine befristete Untermiete. Nach einem Monat musste ich ausziehen. Die nächste WG im Sommer 2022 bestand aus einem Mehrfamilienhaus in der Wiehre, es schimmelte und das Haus erstarrte an den Außenwänden von Graffiti und im Treppenhaus huschten Mäuse herum. Euphemistisch wurde sie von dem bewohnenden Pärchen “Villa Kunterbunt” genannt, damit wir die Verwahrlosung als göttlichen Hippie-Tempel betrachten durften. Der Vermieter hatte mit dem Pärchen den “Deal”, dass sie sich nicht beschweren sollten und keine Mängel anzeigen sollten, dafür würde er ihnen nicht die Miete erhöhen. Wie so häufig in meiner Umzugsbiographie in Freiburg, postulierte der Vermieter offen, dass er seiner gesetzlichen Pflicht zur Instandhaltung nicht nach kommen würde, die Akzeptanz dieses Zustands war Voraussetzung, dass man bei ihm wohnen dürfe. Es war das erste Mal, dass ich darüber nachdachte, Vermietern zu einem Führerschein zu verpflichten, den sie bei Vertragsunterzeichnung der Mieter:in aushändigen müssten, um zu belegen, dass sie sich auch rechtssicher mit den Standards auskannten, die so ein Immobilienkauf mit sich brachte.
Die mangelnde Bereitschaft sich um die Wohnung zu kümmern, war der Grund, warum ich nach vier Monaten wieder auszog, zu einem ehemaligen Bekannten, einem Designer nach Ebnet, der seine vielen Zimmer an AirBnB-Gäste vermietete, mit der Bedingung, dass ich “nur vorübergehend” bei ihm wohne dürfte. Mittlerweile war ich also in der “Insider-Group Freiburg” angekommen, in dem Netzwerk von persönlichen Kontakten innerhalb der Stadt, die dazu führen, dass man Unterbringungsmöglichkeiten erhält, die nicht auf dem Markt vorhanden sind. 50 % aller regulären Vermietungen kommen über das persönliche Netzwerk zustande, sagt dazu der deutsche Vermieterreport.
Von dem Designer erfuhr ich auch, warum so wenig Wohnungen vermietet wurden: Im Freundeskreis wird immer gleichzeitig im Karussell umgezogen, damit jeder eine Wohnung hat. Er wartete darauf, das ein befreundetes Paar umzog, damit er ihre kleinere Wohnung beziehen konnte. Das Paar wartete aber wiederum auf den Bau ihres Hauses und das verzögerte sich seit Jahren, also verharrten alle in ihrem jeweiligen Wohnzustand.
Winter 2022
Während ich also auf blütenweißen Laken in sterilen Gästezimmer sitze, recherchiere ich also weiter nach WG-Zimmern oder Wohnungen, es ist mir jetzt egal welche Wohnform, ich will nur noch ankommen. Mein gesamter Freundes- und Bekanntenkreis rekrutiert sich aus dem Kennenlernen von Wohnungsbesichtigung. Ich spiele jetzt Ultimate Frisbee jeden Mittwoch, weil mich ein WG-Bewohner bei einer Besichtigung darauf aufmerksam gemacht hat. An Wochenenden gehe ich Eisbaden im Opfinger See mit einer Athletin, die ich bei einer Wohnungsbesichtigung kennengelernt habe.
Mein Bekannter sagte mir eines Morgens beim Frühstück unmissverständlich, dass ich wieder ausziehen sollte, im Alter von vierzig Jahren sei er zu alt um mit einer weiteren Person zusammenzuwohnen, diese ganzen Absprachen um Müll und Kochen würden ihn nerven.
Ich sitze also daraufhin in diesem Fachwerkhäuschen in Ebnet und starre aus dem Fenster, sehen den Regen von der Regenrinne auf die Wiese vor mir tropfen, nebenan surrt der Rechner von dem Designer. Jetzt muss ich also alle Register ziehen. Aus einer Laune heraus, versuchte ich eine Sozialwohnung zu beantragen, die ganzen Regelungen durchblickte ich nicht, war jetzt mein Einkommen zu hoch oder zu niedrig? Ich werde es nie erfahren, der Antrag auf einen WBS-Schein von der “Wohnraumförderung” habe ich nie erhalten, er wurde auch zweieinhalb Jahre später nicht beantwortet. Aber vielleicht war ich in der Zwischenzeit schon so oft umgezogen, dass der Brief sowieso nicht mehr ankommen konnte.
Auf einem Poetry Slam lernte ich zufällig eine Gärtnerin kennen, die eine winzige Wohnung am Stühlinger Kirchplatz besaß und schnell weg aus Freiburg wollte, es waren ihr hier zu viele Exfreunde unterwegs. Nach dreimaligen Zusammenwohnen war ich an dem Punkt angekommen, wo ich es aufgegeben hatte. Das mit den Menschen. Ich war müde. Das Zusammenleben war mir jetzt auch zu kompliziert geworden.
Dankbar nahm ich die Einladung an, zog kurz vor Heiligabend um. Beim Einzug eröffnete sie mir, dass die Wohnung doch nur auf drei Monate ihrer eigenen Kündigungsfrist befristet war, denn ihre Nachbarin hätte ein Anrecht darauf, dass nur ihre eigenen Freundinnen in diese Wohnung ziehen dürften. Die Nachbarin, eine Lehrerin mit Hornbrille, war persönlich anwesend und musterte mich streng von oben bis unten. Ich musste also wieder den befristeten Mietvertrag annehmen, die andere Option wäre ein Platz unter der steinernen Dreisambrücke bei Schnee und Regen gewesen, der Designer hatte meine Koffer bereits in die Hofeinfahrt gestellt.
Meine Vormieterin, ein Poetry Slammerin mit charakterlichen Tendenz zum Messie, vergaß ihre Sachen mitzunehmen und so musste ich die Müllsäcke von Gegenständen alle an einem Sonntagnachmittag in den Keller schleppen. Die Wohnung war so winzig, dass mein Klappbett auch mein Sofa war, mein Schreibtisch auch mein Esstisch. Weiteres Möbel gab es nicht, sie hätten auch nicht hineingepasst. Doch mein Kampfgeist war erwacht. Ich würde mich nicht mehr vertreiben lassen. Ich telefonierte mit der Vermieterin und versuchte der Regelung “Nachbarin bestimmt, wer einzieht” zu widersprechen. Umsonst. Nach den drei Monaten musste ich wieder ausziehen. Mittlerweile konnte ich mir ein Leben ohne ebay Kleinanzeigen, Zeitungsanzeigen und WG-Gesucht nicht mehr vorstellen. Seit einem Jahr war ich auf der Suche, das Anschreiben von Vermietern und das Aktualisieren seines eigenen Gesuchs auf Plattformen war so etwas wie das Pflegen des Datingprofils auf Tinder geworden: Lästig, aber notwendig, um sein Sozialleben zu sichern. In dieser schönen Stadt mit lila Flieder an Altstadtfassaden, blühenden Magnolien im Stadtgarten und langen Waldalleen am Fluss, stand ich ständig unter Spannung.
Frühling 2023
Mit dem schönsten und elegantesten Kleid in Lila präsentierte ich mich als seriöse Kommunikationsberaterin in meinem Gesuch, versprach Sauberkeit und Solvenz. Meine Selbstständigkeit hatte ich zugunsten einer Festanstellung aufgegeben, mit dem Hintergedanken, so leichter eine Wohnung zu erhalten. Irgendwann brach ich weinend zusammen, in der Wohnung meines damaligen Partners, den ich - auf einer WG-Suche - kennengelernt hatte. Er hatte mir ein Zimmer angeboten, wir einigten uns auf eine Beziehung, ohne dass ich einziehen würde, um nichts zu überstürzen. Es war der Tag von K.A.R.N.E.V.A.L, draußen vor dem Fenster tanzten die Wiehremer Wichtel und Littenweiler Lurche und ich wusste nicht, wann dieses Hamsterrad der Wohnungssuche endlich stoppen würde, ich erinnere mich, wie er tröstend mit der Hand über meine Kopf fuhr, mich in den Arm nahm und mir eine Nusschnecke anbot.
Und dann passierte das Wunderbare: Auf ebay meldete sich ein Vermieter und leitender Angestellter, er hätte mir da eine Wohnung in der Lehener Straße anzubieten mit unbefristeten Mietvertrag, seine ehemalige Studentenwohnung, nur dreihundert Meter von den Einfamilienhaus, in dem ich vor dreißig Jahren zur Welt kam. Ein Zeichen also. Die Wohnung war wieder so groß wie eine Schuhschachtel, aber immerhin mit gläsernem Aufzug und eingebauter Küche. Es irritierte mich zwar, dass er die Wohnung unbedingt möbiliert an mich vermieten wollte, aber ich unterschrieb den Vertrag ohne Argwohn. Erst später fand ich heraus, dass die Möblierung ein Versuch darstellt, um die geltende Mietpreisbremse zu umgehen. Nach zwei Monaten schickte er mir eine Kündigung, weil ich ihn auf die geltende Mietpreisobergrenze aufmerksam gemacht hatte. Aber mein Körper hatte jetzt eine tiefe Bereitschaft zum Widerstand ergriffen. Resistance. Ich blieb einfach dort sitzen. Ich würde nicht mehr weggehen. Ich habe ein Recht darauf, in dieser Stadt zu wohnen. Ich habe ein Recht darauf, als Mieterin fair nach den gleichen Gesetzen für alle behandelt zu werden. Ich bin es wert, eine gleichberechtigte Einwohnerin zu sein.
Das Ende der Geschichte: Vom Stühlinger in den Osten
Erneut ausgezogen von der Lehener Straße bin ich in der Silvesternacht zum Jahreswechsel 2023/4 in den Freiburger Osten. Seit anderthalb Jahren lebe in einer 1-Zimmer-Wohnung mit Westbalkon, die Sonne sendet mir ihre Strahlen jeden Tag durch das Apartment. Im Frühjahr 2025 habe ich auf meinem eigenen Balkon rote Geranien gepflanzt, daneben lugen Salatköpfe aus den Beetkästen, ein Vogelkasten baumelt am Gitter. Ich habe einen unbefristeten Mietvertrag und eine Waschmaschine. Wie immer schimmelt es in irgendeiner Ecke in der Wohnung. Wenn ich meinen Vermieter anrufe und ihm das mitteile, sagt er mir, ich könne ja wieder ausziehen, er würde sich nicht drum kümmern. Aber er ist schlicht und ergreifend zu alt, um Gesetzesverstöße planmäßig und strategisch anzugehen, so wie meine vorherigen Vermieter. Mit fast 90 Jahren ist er zu schwach, um eine Eigenbedarfskündigung zu fingieren und sich durch die Instanzen zu klagen. Er kann einfach nur seine Ohren verschließen und so tun, als würde er es nicht hören, wenn ich ihn auf seine Pflicht der Instandhaltung aufmerksam mache.
Ich lebe nun nicht mehr in der ständigen Panik, dass ich obdachlos werde. Mein Duschkopf funktioniert nicht, aber ich bin glücklich. Alle paar Wochen packe ich das Desinfektionsmittel aus und schrubbe den Schimmel von meinen Wändem ab, aber ich bin dankbar. Ich habe es endlich geschafft, an einem Ort kleben zu bleiben, nach sechs Umzügen in drei Jahren.
Ich bin hier.
In Freiburg.
Und hier kriegt man mich nicht mehr weg.
Meine Erfahrung ist, dass Vermieter:innen in Ballungsräumen oft dazu tendieren, möglichst hohe Margen aus ihren Objekten zu schlagen. Sie wissen, dass eine große Anzahl von Menschen bereit ist, die Wohnung sofort zu nehmen, deswegen versuchen sie einen möglichst hohen Preis zu nehmen. Von sechs Wohnungen haben mir drei Vermieter zu Beginn des Mietverhältnis klar und unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie so wenig wie möglich Arbeit mit der Wohnung haben möchten, sprich keine Meldungen von Reparatur oder Instandhaltung von mir erwarten. Ihre Annahme lautet, dass Mieter:innen so viel Angst vor einer erneuten Wohnungssuche haben, dass sie sich schon nicht gegen Gesetzesverstöße von ihrer Seite wehren. Dass viele Vermieter in Freiburg die Regel missachten, die Miete nur 10 % über den Mietspiegel zu erheben, zeigt die Auswertung der App Mietwucher der Linkspartei. Insgesamt haben 4186 Personen in Freiburg den Mietwucherrechner im Jahr 2025 genutzt. „Der durchschnittliche Mietpreis aller Nutzenden ist mit 30 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete überhöht", sagt Carmen Lay.
Meine Überlegung: Was ich als Oberbürgermeisterin ändern würde
Mietrechtsführerschein - Autofahren und eine Wohnung zu vermieten hat einen hohen Verantwortungsgrad, in beiden Fällen kannst du jemanden großen Schaden zufügen. Ich würde bei jeder Neuvermietung eine Verpflichtung von Vermieterin und Mieterin einführen, ein zweistündiges Onlineseminar der Stadt Freiburg zu absolvieren, wo die wichtigsten Eckpunkte der aktuellen Rechtssprechung und Urteilen zu Mietrecht, Mietspiegelberechnungen der Stadt Freiburg 2025/6 und Grundlagen gewaltfreier Kommunikation verankert sind. Ohne Mietrechtsführerschein darfst du dann nicht mehr vermieten. Dass beide Parteien über die jeweiligen Gesetzeslagen informiert sind, schützt sie beide und vermeidet Konflikte. Es kann Gesetzesverstöße nicht vollständig verhindern, aber es macht es schwerer.
Bürgerbeteiligung: Du hast ein Argument gegen die Einführung des Mietrechtsführerscheins? Diskutier hier mit!
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